Eine arme Kirche kann das Evangelium verstehen
Im Jahr 313 n. Chr. erklärte der Römische Kaiser Konstantin das Christentum zur anerkannten Staatsreligion. Das war die so genannte Konstantinische Wende. Er glaubte den Christen damit einen Gefallen zu tun. Seit 313 n. Chr. finden sich die Christen nicht mehr unten, sondern oben auf der Stufenleiter der gesellschaftlichen Anerkennung. Vor diesem Zeitpunkt waren Christen beispielsweise nur sehr selten beim Militär zu finden. Sie waren Pazifisten und an Kriegen und Eroberungen nicht interessiert. Diejenigen, die doch Soldaten wurden, waren sehr wenige, und sie wurden verfolgt. Doch schon hundert Jahre nach der Konstantinischen Wende hatten die Christen das Militär übernommen und verfolgten ihrerseits die Nichtchristen! Das ist schon ein dramatischer Schwenk, ein Sprung aus der Außenseiterposition in die des „Establishments".
Die Kirche im Westen hat das Evangelium und die Geschichte mehr als sechzehn Jahrhunderte lang von dieser überlegenen Warte aus betrachtet. Wir waren nicht mehr die Kirche der Armen, bestenfalls setzen wir uns in unserer privilegierten Position der Reichen für die Armen ein.
Wir wurden eine Kirche der Mittelschicht, ja sogar der oberen Mittelschicht, die in weiten Teilen das meiste von dem ausspart, was Jesus über Reichtum und Besitz gesagt hat. Die Kirche sah kein Problem darin, und die meisten Christen heutzutage sehen ebenfalls kein Problem darin, sagenhafte Reichtümer zu besitzen, riesige Rücklagen, Versicherungen und Besitztümer aufzuhäufen und gleichzeitig immer noch zu glauben, dass sie auf Gott vertrauen.
Das Christentum funktioniert am besten von einer Rand oder Minderheitenposition aus. Manche bilden sich etwas darauf ein, der moralischen Mehrheit anzugehören, aber Jesus war nie Teil irgendeiner moralischen Mehrheit. Das Evangelium lässt sich am wahrhaftigsten von der Position der Minderheit aus verkünden. Hier sind wir nicht käuflich. Wir haben es nicht nötig, uns anzubiedern, weil wir dort am Rand niemand haben, dem gegenüber wir uns beweisen oder dem wir gefallen müssten. Vielleicht ist es nötig, dass wir zur „unmoralischen Minderheit" werden.
Richard Rohr aus "Hiobs Botschaft. Vom Geheimnis des Lebens."
Ich bin mir nicht sicher, ob Jesus keine Religion neben dem Judentum gründen wollte. Jesus war Jude. Die Juden glaubten und glauben, dass der Messias kommen würde,wird. In Jesus sahen sie aber nicht den Messias, sondern einige höchstens einen Propheten oder nur einen Sonderling. Zu Petrus hat Jesus laut Evangelium gesagt: Du bist Petrus ( der Fels ) und auf diesem Felsen will ich meine Kirche bauen. Ob es eine neue Religion sein sollte, darüber ist nichts überliefert. Es scheint aber, wenn man die Apostelgeschichte liest, dass der Auftrag zu einer neuen Religion ergangen ist. Es kann sein, so wie Du, Freud, vermutest, dass es auch zu unterschiedlichen Interpretationen von Jesu Wort gekommen ist. Wir müssen bedenken, dass die Evangelisten erst nach dem Tod Jesu die Evangelien geschrieben haben und zwar in hebräisch und aramäisch.
Es folgte die Übersetzung ins Griechische und von dort ins Lateinische und dann erst unter Luther ins Deutsche. Fehlinterpretationen sind bei so vielen Übersetzungen nicht ausgeschlossen.
Ich denke, dass Jesus alles andere wollte, als eine neue Religion - und damit auch eine Kirche - zu gründen. Nach seinen eigenen Aussagen hatte er die Aufgabe, seine jüdischen Mitmenschen wieder auf die richtige Spur zu bringen. Und das bedeutete, soweit ich das verstanden habe, dass er die Religiosität der Israeliten als erstarrt empfunden hat, in ihrem Bemühen, durch das peinlich genaue Einhalten der Gesetze ein gottgefälliges Leben zu führen.
Demgegenüber sagte er ja ganz klar, dass nicht der Mensch für das Gesetz da ist, sondern das Gesetz für den Menschen. Und das war dann ja auch einer der wichtigsten Streitgründe zwischen ihm und der religiösen Führung, die ja geradezu ihre Existenzberechtigung aus der Kontrolle der Gesetze zog. Da ist für mich von einer neuen Religion nichts erkennbar.
Das, was aus Jesu Vorstellungen zu der dann christlichen Religion geführt hatte, war nicht Jesus sondern Paulus. Ob und wieweit der seinerseits Jesus verstanden und das gepredigt hatte, was Jesus entspricht, kann ich nicht beurteilen. Aber ich habe meine Zweifel, dass das immer deckungsgleich ist.
Das ist eine schwierige Frage. Wie begreife ich Kirche? Ist es das Gebäude in das ich sonntags gehe, oder ist es die Gesamtheit der Christen, oder gar die Menschheit?
Die Kirche als Organisation hat im Laufe des Bestehens viele Reichtümer angehäuft. Begründet wurde dies mit, zur Ehre Gottes. Es wurden Kathedralen, Dome und Kirche gebaut und wir bewundern sie noch heute. Ich frage mich beim Bewundern der Kunstwerke, ist es das, was mich einer Kirche angehören lässt? Ich glaube, es ist vielmehr der gegenseitige Austausch und die gegenseitige Aufnahme in eine Gemeinschaft.
Was bedeutet Kirche für mich? Wenn ich ehrlich bin gehöre ich ja auch zu den "Versicherten", "Abgesicherten" und nicht zu den Armen und Mittellosen. Und wenn ich unsere Kirche ansehe, sind wir alles andere als Arm und eine Schicht am Rande. Hätte Jesus überhaupt eine Kirche gebraucht oder sie gar gewollt? Für was also haben wir eine Kirche, was bringt sie mir und würde es auch ohne gehen?