Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein! Wenn du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht ersäufen sollen; und wenn du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen ... weil du in meinen Augen so wert geachtet und auch herrlich bist und weil ich dich lieb habe. (Jesaja 43,1-4)
Es ist schon schwer zu erklären, was das Gebot, Gott zu lieben, für die Menschen bedeutet. Noch viel schwieriger ist es, über die Liebe Gottes zu sprechen, der Liebe Gottes zu den Menschen. Ist es nicht ganz und gar vermessen, darüber zu spekulieren, was im Herzen Gottes vorgeht? Greift hier nicht, vielleicht sogar zu unserem Schutze, das Verbot, sich ein Bild oder ein Gleichnis zu machen?
Andererseits ist die Liebe Gottes ein zentrales Thema der Bibel. Aus dem Alten Testament kennen wir eher Berichte vom Zorn und der Strafe Gottes. Wenn man aber nachforscht, so finden sich zahlreiche Zeugnisse der Liebe Gottes zu den Menschen. Die eingangs zitierten Worte Jesajas sind zwar eine kollektive Zusage an das Volk Israel, klingen aber eher so, als seien sie an den einzelnen Menschen gerichtet, ganz und gar bewegend.
Man wird berücksichtigen müssen, dass generell die Aussagen der Propheten von den Absichten der biblischen Autoren geprägt sind, sowie von deren persönlichen Lebens- und Zeitumständen. Dennoch ist die von diesen Worten gezeichnete Vision überwältigend. Sie bedient die Vorstellungen von Liebe, die wir in menschlichen Beziehungen erfahren und aus ihnen ableiten. Da ist der Wunsch nach Nähe ausgesprochen, der Schutz des geliebten Wesens vor Gefahren, die Sorge um sein Wohlbefinden, die Wertschätzung und, wie aus den Nichts irgendwie fast irrational, "weil ich dich lieb habe".
Im Neuen Testament wird manchmal ein anderer Ton angeschlagen. Das wird besonders deutlich im Kapitel 1. Joh.4, welches ganz dem Thema der Liebe zwischen Gott und Mensch gewidmet ist. Im Mittelpunkt steht jetzt Jesus, und die Aussage des Autors gipfelt in 1. Joh. 4. 10 (oder Joh. 3, 16), dass nämlich die Aussendung und die Mission Jesu den ultimativen Beweis göttlicher Liebe darstellt. Die Deutung dieser Textstellen scheint allerdings recht unterschiedlich auszufallen. Im Gegensatz zur spontanen, voraussetzungslosen, fast erotisch klingenden Liebesbekundung bei Jesaja scheint bei einigen Übersetzungen und Interpretationen der Liebesbeweis in einem blutigen Sühneopfer zu bestehen.
Es gibt also ein sehr breites Spektrum, wie die Liebe Gottes von Menschen verstanden und aufgenommen wird. Jene Menschen können sich glücklich schätzen, welche die Beziehung zu Gott so positiv und greifbar erleben, wie sie es von guten menschlichen Erfahrungen kennen. Aber die alltägliche Erfahrung zeigt, dass die Zahl der Menschen, die etwas ganz Andres erleben, sehr groß ist. Da ist niemand, der sie beschützt, der sie wertschätzt und immer bei ihnen ist. Sie werden auf die Verheißung Jesajas bestenfalls mit Sarkasmus, wenn nicht sogar mit Wut reagieren.
Andererseits gibt es schier unbegreifliche Zeugnisse von Menschen, die Gottes Liebe erfahren, während sie unerträglichen Qualen und Leiden ausgesetzt sind. Dazu gehören Zeugnisse Dietrich Bonhoeffers, der nach langer, quälender Inhaftierung kurz vor seiner grausamen Hinrichtung ein sehr bekanntes Gedicht geschrieben hat, von dem aber fast immer nur die harmonischen, idyllischen Strophen als Lied gesungen werden, nicht jedoch die schockierende, aufwühlende dritte Strophe:
Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus deiner guten und geliebten Hand.
Hier spricht Bonhoeffer mitten auf einem kaum vorstellbaren Leidensweg von der Liebe Gottes, von dem bitteren Kelch des Leidens, den er dankbar aus der liebenden Hand Gottes empfängt. Die Liebe Gottes muss für ihn in einer Weise gegenwärtig und greifbar gewesen sein, die schier unvorstellbar ist. Ist das nicht übermenschlich? Jesus im Garten Gethsemane betete: " Vater, dir ist alles möglich. Lass diesen Leidenskelch an mir vorübergehen. Doch dein Wille geschehe, nicht meiner" (Mk 14, 36). Jesus ist kein Übermensch, kein Gott. Seine Menschlichkeit in dieser Szene ist zutiefst ergreifend.
Es gibt diese überwältigenden Zeugnisse besonders Auserwählter, doch wir wissen kaum etwas direkt aus erster Hand, ob und wie gewöhnliche Sterbliche Gottes Liebe erfahren. Theologen und fromme Menschen mögen wortreiche Bekundungen abgeben, Schwärmer mögen verzückt zur Klampfe die Liebe Gottes preisen, doch wenig Menschen können nachvollziehbar und glaubhaft das persönliche Erleben der Liebe Gottes beschreiben. Man spricht auch selten darüber. Und wenn, dann besteht häufig die Gefahr, dass tief eingeprägte Worthülsen das Vordringen zu einer authentischen Ebene versperren. Wie steht es also um die Erfahrung der Liebe Gottes?
Vielleicht kann sich Gottes Liebe auch anders manifestieren, als es den Erwartungen entspricht, die sich durch menschliche Wunschvorstellungen aufdrängen. Können wir durch etwas Abkehr davon den Weg frei machen zu einem wirklichkeitsnahen und erfahrbaren Verständnis und Empfinden der Liebe Gottes? Gott ist der Schöpfer von Allem, von unglaublich Großem und Schönen. Das ist offenbar und jeden Tag aufs Neue reichlich erfahrbar. Stolpert man nicht ständig darüber, wenn Augen und Ohren offen gehalten werden?
Aber wie in menschlichen Beziehungen droht die Gewohnheit auch die Wahrnehmung der Gegenwart Gottes und das Staunen darüber abzustumpfen. Doch mir verschlägt es immer wieder den Atem, wie wunderbar gefügt und schön Gottes Schöpfung ist. Das geschieht auch immer wieder bei meiner Tätigkeit als Wissenschaftler, beispielsweise bei der Begegnung mit dem kunstvoll geschlungenen und geordneten DNA Molekül, in dem jede Windung und jede Brücke ihren Sinn erfüllt. Und es ist schön, eines der unzähligen Kunstwerke der Schöpfung.
Vielleicht ist letztlich doch ein wenig Rückgriff auf die menschliche Vorstellungswelt hilfreich, um zu erahnen, dass Gott liebt und wie Gott liebt. Möglicherweise liebt Gott die Schöpfung ähnlich wie ein großer Künstler sein Kunstwerk, mit allem was darinnen ist, auch mit mir, einem winzigen Strichlein, das zwar gewollt, aber nicht übermäßig bedeutsam ist. Gott ist anwesend, steht jedoch nicht immer neben mir und passt auf, dass alles Unglück von mir abgewendet wird.
Danke für Deine Worte. Mir fällt es im Augenblick sehr schwer, von der Liebe Gottes zu sprechen, da ich insbesondere im Alten Testament Gewalt Mord und Totschlag erlebe. Nach dem Befassen mit dem Buch Exodus, Mose, Befreiung aus Ägypten, Erinnerung im Augenblick durch das Passahfest, sehe ich die Beziehung Gott-Mensch doch sehr kritisch. Daher habe ich beschlossen, dem was als Gottes Liebe bezeichnet wird mehr auf den Grund zu gehen. Im Neuen Testament fällt es mir leichter Gottes Liebe aufzuspüren.
Das hast Du wirklich schön geschrieben, Dietrich. Schade, dass ich darauf nicht adäquat antworten kann. Mir fallen da im Moment nur ziemlich destruktive Erfahrungen ein, dass - nicht nur, aber vor allem auch - im christlichen Raum umso weniger Liebe zu finden ist, je mehr davon geredet wird.
Das, was ich selbst als Liebe erlebe, kann ich leider nicht in Sprache ausdrücken. Aber ich glaube, es kommt Deinem Beispiel mit dem Künstler in der Beziehung zu seinem Werk sehr nahe.
Wir Menschen, oder sagen wir eher, wir Christen, machen meiner Meinung nach immer wieder einen ganz entscheidenden Fehler. Wir suchen nach der Liebe Gottes auf einer menschlichen Ebene. Wir wollen die Liebe sehen, spüren und begreifen, so wie wir sie vielleicht bei unseren Partnern oder Kindern erleben. Und wenn wir das nicht erlebe, dann zweifeln wir an der Liebe Gottes. Aber ist gerade diese Liebe nicht etwas, was wir eben NICHT begreife können? Ist die Liebe Gottes vielleicht etwas anderes als dass was wir uns darunter vorstellen oder was wir uns wünschen. Unser Anspruch an Gott ist zutiefst menschlich aber eben nicht göttlich. Viele Menschen machen Gott mit ihrer Vorstellung klein. Dabei ist gerade die Liebe Gottes zu den Menschen um in vielfaches größer. Woher ich das weiß? Natürlich weiß ich es nicht, aber wen ich ein wenig versuche diese Liebe zu verstehen, dann sehe ich mir das Leben Jesus an. Obwohl er sicherlich eine tiefe, fast schon intime Beziehung zu Gott hatte, wurde er auch nicht von Leid und Zweifeln, von Ängsten und Sorgen befreit. Ganz im Gegenteil sogar. Der einzige Unterschied war wohl eher der, dass er das sichere Wissen hatte, dass es Gott gibt er bei ihm ist.
Und wenn ich Zeilen von Bonhoeffer betrachte, dann kommt es mir schon fast vor wie ein immer weder kehrendes Gebet, wie ein Mantra oder eine Art Selbsthypnose. Ganz sicher hatte Bonhoeffer den festen Glauben, aber ganz sicher hatte er auch Angst. Wenn kleine Kinder Angst habe in den Keller zu gehen, dann singen oder pfeifen sie manchmal, weil es beruhigt die Angst im Griff behält. Es ändert nichts an der Situation, aber es ändert etwas an dem Gefühl der Angst. Der Verstand und das Gefühl sind eben nicht immer einer Meinung. Ich kann etwas genau wissen, unter dem Bett ist kein Monster, aber ich kann dennoch schreckliche Angst haben. Das Gefühl lässt sich durch den Verstand nur schwer wieder einfangen, und genau an der Stelle sind Gebete, Liedverse oder Reime eine Hilfe die Angst nicht zu groß werden zu lassen.
Jesus hatte panische Angst vor der Kreuzigung. Und Bonhoeffer hatte sicherlich auch schrecklich Angst, dennoch sind sie mit dem Wissen um die Liebe Gottes den Weg gegangen. Das Wissen ist es, was uns helfen kann die Zweifel und Ängste zu überwinden. Und das Wissen kann ich erlangen durch die Betrachtung der Erd- und Menschheitsgeschichte oder eben auch durch die Betrachtung eines DNA Moleküls. Da wird doch die Liebe Gottes greifbar. Und dieses Wissen kann mein Gefühl zumindest etwas beeinflusse